Donnerstag, 13. Oktober 2011

Gas ist wichtiger

Mit dieser süffisanten Bemerkung beschließt Andreas Unterberger einen Artikel unter dem Titel »Zurück zu Stalin«, in welchem er mit dem Urteil gegen Julia Timoschenko hart ins Gericht geht. Und das Urteil dann auch gleich zum Anlaß nimmt, Putin kräftig den Kopf zu waschen. Und die Proteste westeuropäischer Staaten als gewollt zahnlos, weil durch schnöde Rohstoffinteressen beeinflußt, zu diskreditieren.

Was ist Unterbergers Veranlassung, so zu reagieren? Will er uns etwa einreden, Leute wie Timoschenko oder Chodorkowski seien Unschuldslämmer, grausam verfolgt von blutgierigen Diktatoren wie Putin oder Janukowitsch? Und will er gar die Geschmacklosigkeit begehen, die vielen Millionen (!) Toten, die Stalin am Gewissen hat (so er ein Gewissen hatte), mit ein paar Verurteilungen von Wirtschaftskriminellen zu vergleichen, bei denen man zwar sicher der Meinung sein kann, sie wären etwas sehr ruppig angefaßt worden — aber daß sie schäfchenweiß unschuldig vorfolgte Opfer wären, kann man nun doch wirklich nicht behaupten!

Timoschenko oder Chodorkowski wären als treue Parteigänger der jeweils Regierenden (statt als Konkurrenten) sicherlich — wenn überhaupt! — recht weich gefallen. Nur, kurze Frage, Herr Dr. Unterberger: was hört man vom Prozeß gegen einen langjährigen ÖGB-Vorsitzenden, der den ÖGB und eine Großbank durch sein legeres Verhalten fast in den Bankrott gebracht hätte? Oder hat man über Heifischs Querverbindungen zum »Club 45« und Udo Proksch je was gehört? Sind die treuen Genossen, die sich einst für einen Versicherungsbetrüger und Mörder ins Zeug legten und Ermittlungen behinderten, dafür vor Gericht gekommen? Ist dafür aber nicht ein ach so ungeheuer »gefährliches« Delikt, wie z.B. einschlägig bekannte Armhebungen, bei Jugendlichen hierzulande mit mehrjährigen Gefängnisstrafen belegt worden, statt diesen Idioten bei der Polizei einfach (wenngleich illegal) ein paar Watschen zu geben und die Frage zu stellen, ob sie sich wirklich so fetzendeppert aufführen müssen — und sie dann nach Hause zu schicken ...?

Nein, Herr Dr. Unterberger: auch mit den Urteilen gegen Timoschenko oder Chodorkowski geht es nicht »zurück zu Stalin«, sonst müßte man selbiges konsequenterweise auch bei uns vermuten. Helmut Oswald schrieb am 12. Oktober 2011 um 10:25 auf Ihren Artikel folgende Replik:
Gas ist wichtiger! Die Vereinigten Staaten entdeckten in den dreißiger Jahren - und zwar zu Zeiten einer Weimarer Republik, daß die wirkliche und wahre Gefährdung der Demokratie und Menschenrechte nicht von Josef Stalin ausgeht - nur zur Erinnerung, DER hatte schon Ende der 20er Jahre Mordquoten in siebenstelligen Ziffern, während der Bürgerkrieg auf unseren Straßen möglicherweise einige dutzend bis hundert Opfer forderte — jedes einzelne zuviel, gewiß — aber immerhin verteilt auf die Kontrahenten. Sie waren unerschütterlich gewiß, daß diese Gefahr von Deutschland ausginge, für dessen landräuberische Nachbarn, für deren Praxis zur Unterdrückung ihrer Minderheiten und Volksgruppen sie offenbar blind gewesen sind, sie bereit waren, in den Krieg zu ziehen; seither ist Gas wichtiger!

Gas ist wichtiger! Seit die Vereinigten Staaten ihren Konzernen das Monopol auf den strategisch wichtigsten Primärenergieträger Erdöl verschafft haben, und uns Europäer entweder damit regelmäßig abkassieren oder dann auch noch in den Krieg für ihre Konzerninteressen und ihre Vorstellung von Weltordnung entsenden. Besonders im Nahen Osten.

Gas ist wichtiger, seit Millionen nertriebene, beraubte und entrechtete Menschen auf Grund der Ordnung von Jalta und Potsdam ihre Heimat verloren hatten - und ich spreche damit nicht nur von Deutschen, die man stets geneigt ist kollektiv zu züchtigen, auch dann, wenn es beileibe keine Schuldigen trifft — nein es sind auch Millionen Osteuropärer gewesen. Und seit die Amerikaner wissentlich und sehenden Auges Resteuropa für 60 Jahre auf einen maritimen Brückenkopf ihrer globalen Machtansprüche reduziert hatten, abgeschnitten von seinen natürlichen Rohstoffquellen aus dem ostmitteleuropäischen Raum — ja, seither ist auch uns Gas wichtiger !

An dem Tag, an dem auch Amerika bereit ist, Millionen Menschenleben seiner Bürger gegen die Ausbreitung des Stalinismus an die Front zu stellen, dann folgen wir möglicherweise dem guten Beispiel. Aber vielleicht erscheint auch uns - gerade in diesem Augenblick - eine andere politische Gefahr viel, viel gefährlicher.

Und vielleicht ist auch uns dann Gas wichtiger ! Denn wir haben in der Zwischenzeit viel gelernt von Amerika.
Das zu lesen muß einen alten Transatlantiker wie Sie zutiefst schmerzen. Nur wahr ist es trotzdem.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Glasklar analysiert. Respekt. Unterberger hat leider zu viel Zeit im journalistischen Mainstream verbracht, um auf seine alten Tage das selbständige Denken vollständig zu erlernen. Oder es sich zu getrauen...
Nescio