Mittwoch, 31. Januar 2018

Der Held

von Fragolin

Es war eine herzzerreißende Geschichte. Als sich nach dem Konzert des Pop-Sternchens Ariana Grande in Manchester ein friedensreligiöser Sprenggläubiger zu seinen 72 Jungfrauen detonierte, überrollte eine Welle der Hilfsbereitschaft die Stadt; jeder, der in der Nähe war, eilte den Opfern zu Hilfe und rettete so viele Verletzte, wie er nur konnte.

Ganz besonders hervorgetan hat sich ein junger Obdachloser, der sofort zu den Verletzten eilte und in dessen Armen weinenden Auges eine junge Frau an den Folgen des Attentates verstarb. Selbstlos versorgte er Verletzte, half ihnen auf die Beine und zeigte der Welt damit genau das, was sie sehen will: dass es eben herzliche, selbstlose und wahrhaft gutherzige Menschen gibt, die jenseits des Rennens nach Mammon im Schatten dahinvegetieren, deren wahres Leuchten des Herzens im Dunkel der Schatten der Armut niemand sieht und die erst in solch schrecklichen Minuten ihre wahrhafte Schönheit zeigen, wenn gutbetuchte Menschen egozentrisch das Weite suchen. Die Emotionen schlugen hoch bis in den Himmel, die Medien drängelten sich um den rührenden Retter, erkoren ihn zum „Held von Manchester“, ließen sich immer wieder seine Geschichte erzählen, wie er den Verzweifelten Mut gab und den Verletzten auf die Beine half und eine junge Frau in seinen Armen ihren Verletzungen erlag.

Und so erweichte er das Herz des ganzen Landes, denn wie konnte es sein, dass so ein strahlender Held auf der Straße leben muss, dass ihm nicht einmal ein Dach über dem Kopf bleibt? Eine Fundraising-Seite wurde eröffnet und Spenden wurden gesammelt, denn wie kann eine Gesellschaft es zulassen, diesen wahren Helden weiter auf der Straße verkommen zu lassen, jetzt, wo jeder gesehen hat, was für ein verehrungswürdiger Halbgott er ist? Mädchen spendeten ihr Taschengeld, Frauen weinten ob des harten Loses dieses wundervollen Helfers.

Bis die Polizei die Bilder der Überwachungskameras auswertete. Da kamen plötzlich Zweifel an der Geschichte, denn irgendwie sah das alles etwas anders aus, als der Gute in die Mikrofone der bereitwillig von glückstrunkenen Jungjournalistinnen mit feuchten Augen und vor Erregung bebendem Busen geheuchelt hat.
Nix da Hoffnung geben. Nix da auf die Beine helfen. Nix da Sterben in seinen Armen.
Eine verletzte Vierzehnjährige hat er nicht unterstützt sondern ausgeplündert und auch andere Verletzte hat er bestohlen, Handys und Geldtaschen samt EC-Card kassiert, von denen er sich auch noch Geld behoben hat. Am Ende bleibt ein gesperrtes Spendenkonto, die Girlies bekommen ihr Taschengeld zurück und der lügnerische Plünderer ein Dach über dem Kopf, aber die Fenster vergittert.

Was ist jetzt daran so bemerkenswert? Ich meine, außer der Tatsache, dass mal wieder die Realisten mit ihren fiesen Vorurteilen, die aus Lebenserfahrung resultieren, im Recht geblieben sind. Daran hat man sich ja schon gewöhnt.
Zwei Dinge gibt es zu bedenken.

Erstens:
Wenn die Polizei nicht auf der Suche nach den Hintergründen dieser Bluttat eines irren Sprenggläubigen die Kameras ausgewertet hätte, würde dieser Typ jetzt in einer von gutgläubigen Spendern bezahlten Wohnung hocken und dort sein Hehlergut horten. Die Medien haben sich auf die Geschichte gestürzt und diese hochgekocht, denn sie passte in das politisch korrekte Weltbild vom edlen Obdachlosen, der, wäre er auch noch schwarz und Transvestit und Geflüchteter gewesen, wahrscheinlich zum Millionär geworden wäre. Man glaubte ihm jedes Wort seiner tränenrührenden Lügengeschichte, weil man sie glauben wollte. Weil sie passte. Weil sie richtig war. Denn es geht in der postfaktischen Emotionsblase, in der unsere Gesellschaft in den eigenen Untergang schwebt, nicht mehr darum, was real ist, es geht darum, was sich richtig anfühlt.
Und diese Medien, diese einer plumpen Lüge frei- und bereitwillig aufsitzenden Schreibknilche, die einen Dieb zum Helden hypeten, einfach, weil sie es wollten, die wollen dem Rest der Welt das Recht auf Berichterstattung absprechen, ja am Liebsten verbieten, weil alle anderen Fake News verbreiten, wenn sie recherchierte oder selbst beobachtete Vorgänge beschreiben, denn nur sie selbst sind die Wahrheitsmedien, die Qualitäts-Nachrichtenproduzenten, die Faktenchecker.
Die gefährlichsten Lügner sind die, die selbst glauben, nur die Wahrheit zu erzählen.

Zweitens:
Wenn jeder einfach eine Geschichte erzählen kann, die leicht emotional zu Beeinflussende und nach Glücksbesoffenheit Lechzende ohne zu hinterfragen aufsaugen und glauben, einfach, weil sie sie glauben wollen, weil sie in ihr Weltbild passen, ihre Ideologie stützen, ihre innere Schulter klopfen weil sie schon immer wussten dass die Wilden die besonders Edlen sind, und keiner hinterfragt, ja hinterfragen darf, ob da überhaupt ein Körnchen Wahrheit zu finden ist – dann kann jeder dahergelaufene Märchenerzähler mit einer herzzerreißenden Geschichte über eine lebensgefährliche Flucht, neben ihm im Hagel der Fassbomben niedersinkende Geschwister, tote an den Strand gespülte Kinder und traumatisierende Verfolgung durch brutale Schergen hier lächelnd diese postfaktisch-emotionsgeleitete Idiotengesellschaft abkassieren, die für herzzerreißende Märchen jeden Preis bezahlt und bereit ist, sich selbst für wundervolle Geschichten abzuschaffen.

Wenn schon ein einziger britischer Obdachloser die ganze Gesellschaft hinters Licht führen kann, wie ist das dann mit unseren Politikern und Medienschaffenden, die mit Märchen über arme Flüchtende und traumatisierte Kinder, die in Aleppo in den Armen ihrer sterbenden Eltern dem Verbrennen ihres einzigen Teddybären zusehen müssen, die emotionsgeleiteten Heulsusen mit tränenrührigem Gefühlsgedusel versorgen und die Gesellschaft in Wellkammbesoffenheit manipulieren?
Traue niemandem.
Schon gar nicht jemandem, der die Macht hat, dich zu bescheißen,
Denn die Macht zu besitzen, heißt, sie zu benutzen. Sagt der Realist mit Lebenserfahrung.

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