Donnerstag, 2. November 2017

Hundert notwendige Gedichte XLIII: Hermann von Gilm


Allerseelen

Stell auf den Tisch die duftenden Reseden, 
  Die letzten roten Astern trag herbei, 
Und laß uns wieder von der Liebe reden, 
      Wie einst im Mai. 

Gib mir die Hand, daß ich sie heimlich drücke 
  Und wenn man's sieht, mir ist es einerlei, 
Gib mir nur einen deiner süßen Blicke, 
      Wie einst im Mai. 

Es blüht und duftet heut auf jedem Grabe, 
  Ein Tag im Jahr ist ja den Toten frei, 
Komm an mein Herz, daß ich dich wieder habe, 
      Wie einst im Mai.


Hermann von Gilm zu Rosenegg wurde gestern vor 205 Jahren, am 1. November 1812, in Innsbruck geboren, und starb am 31. Mai 1864, also nur wenige Tage, bevor Richard Strauss (am 11. Juni dieses Jahres) geboren wurde — der Gilm durch die Vertonung von acht seiner Gedichte unsterblicher machte, als es wohl seine Gedichte »alleine« vermocht hätten ...

Unter diesen Gedichten ist auch das obige: und es wurde durch Strauss (durchaus zur Verwunderung seines »Fans« und ersten Biographen Richard Specht, der darin den mangelnden Literaturgeschmack seines Idols bemängelte) völlig zurecht unsterblich — denn es ist ein wahrhaft »großes« Gedicht, trotz (oder wegen?) seiner volksliedhaften Einfachheit. Und es gehört bis heute zu den bekanntesten Liedern von Richard Strauss — wie man an den unzähligen Aufnahmen, die uns Youtube bietet, ersieht, von denen die einfühlsame Interpretation (in Rudolf Hegers Orchesterfassung) des großen, unvergessenen Rudolf Schock vielleicht die »stimmigste« ist:


Damit soll all den anderen großartigen Interpretationen nicht der Rang abgesprochen werden, so insbesondere den historischen Aufnahmen von Franz Völker aus 1934 und von Peter Anders aus 1944, oder auch der von Peter Schreier (besonders einfühlsam von Norman Shetler begleitet). Und bei aller Verehrung für den großen Fischer-Dieskau: »seine« Version spricht mich einfach nicht wirklich an, obwohl Gerald Moore ihn am Klavier großartig wie immer begleitet. Ohne auch die hervorragenden Interpretationen durch große Sängerinnen — wie Christa Ludwig, Irmgard Seefried, Leontyne Price oder Brigitte Fassbaender — geringschätzen zu wollen: dies Lied muß schon des Textes wegen von einem Mann gesungen werden! Ein Geliebter, dessen Hand nur »heimlich« gedrückt wird, der von einer Frau mit »Gib mir nur einen deiner süßen Blicke!« angefleht wird, wirkt einfach komisch.

Eine ebenfalls rundum »stimmige« Fassung bietet uns der amerikanische Baß-Bariton Norman Foster (der die Tempi ein wenig schneller nimmt, ohne deshalb im mindesten gehetzt zu wirken) und dessen dunkles Timbre einen durchaus hörenswerten Kontrast zu den obigen Tenören darstellt.

Doch zurück zum Dichter Hermann von Gilm: seine Gedichte sind in Volltext online lesbar: Band 1 (hier weckt auf Seite 272 »Die Cigarre« LePenseurs Interesse) und Band 2. Vieles, allzuvieles davon ist zeitgebunden und zurecht vergessen — aber einige Juwelen sind darunter, und schlichte Perlen, wie das obige Gedicht ...








Nachtrag (3.11.2017): unverzeihlich — aber die ebenfalls in ihrer noblen »Sanglichkeit« einzigartige Interpretation durch Richard Tauber hatte ich oben übersehen: hier sei sie nachgetragen! Richard Tauber ist bei dem Lied — neben Fanz Völker vielleicht — der einzige Tenor, der die »süßen Blicke« mit vollendeter Süße, doch ganz ohne Süßlichkeit, mit männlichem Metall in der Stimme, doch ohne zu schmettern, zu singen vermag ...

4 Kommentare:

Walter R. hat gesagt…

Chèr Penseur,
dieser große Mann, ist er wirklich 151 Jahre alt geworden?
Das hätte er sicher verdient, aber das scheint mir doch etwas übertrieben (;-)

Anonym hat gesagt…

Werter Le Penseur,

Sie meinen 1864.

Stets der Ihre,
Tomj

Le Penseur hat gesagt…

Sehr geehrte Herren,

tja, tippen sollte man können ... andererseits wäre Richard Strauss mit einem Geburtsjahrgang 1964 jetzt gerade dabei seine Alpensymphonie (u.a. hier zu finden)zu vollenden, und das ist — neben dem Guinessbuch-verdächtigen Alter des edlen Herrn von Gilm zu Rosenegg, welches auch ich ihm von Herzen gegönnt hätte (wiewohl sein Methusalem-Greisenalter jenseits des Hundertsten in nicht eben erbauliche Zeitläufte gefallen wäre ...) — eine Vorstellung, der ich durchaus was abgewinnen könnte.

Danke für den Hinweis, den ich im Artikel gleich korrigierend berücksichtigt habe!

Biedermann hat gesagt…

Sehr schönes Gedicht. Die ersten beiden Zeilen (nur diese) erinnern an gewisse Astern-, Rosen-, Glyziniengedichtzeilen von Gottfried Benn. Der war allerdings im Unterschied zu dem Idylliker Hermann von Gilm Militärarzt und lyrischer Apokalyptiker und dichtete auch über Sektionen in der Morgue. Rauchtechnisch bevorzugte er anstatt Cigarren eher das papierverklebte Kleinkaliber.

Nicht weit hinter den „Cigarren“, auf der Seite 279, finden sich die schönen Verse:

Glocken weißer Hyazinthen
Läuten sie des Tages aus,
Und der Mond mit blassen Tinten
Schreibt sie nächtlich an dein Haus.

Einfach gut.