Donnerstag, 23. März 2017

Er zählte zu den ganz großen Geigern des 20. Jahrhunderts

... wurde heute vor hundert Jahren, am 23. März 1917 in Philadelphia (Pennsylvania), geboren: Oscar Shumsky. Völlig zurecht schrieb The Guardian in seinem Nachruf:
The American violinist Oscar Shumsky, who has died aged 83, was regarded by many musicians as one of the greatest 20th-century exponents of his instrument.

His intensely communicative yet refined playing combined the grand romantic tradition of Russian-Jewish violinists with the same dash of eloquence that characterised the playing of his idol, Fritz Kreisler. His immaculate technical command was legendary, and his lyrical playing was distinguished by a luscious warmth and highly expressive intonation. His musical memory was staggering; he could play entire passages of an orchestral score on the violin. 
Dennoch ist er hierzulande kaum bekannt (daß in der deutschen Wikipedia ein Artikel über ihn fehlt, ist bezeichnend!) — obwohl er zeitlebens mit der Interpretation der großen Meisterwerke deutscher Komponisten herausragende Konzerte gab, und auch beeindruckende Aufnahmen hinterließ, so z.B. der 1. Partita für Violine Solo von Johann Sebastian Bach (BWV 1002):


Oder die wirklich meisterliche Interpretation der Chaconne aus Bachs 2. Partita für Violine Solo (BWV 1004), die sicherlich zu den ganz "großen" Aufnahmen dieses Werkes zählt:


Doch auch — und gerade! — in der Musik der deutschen Romantik und Spätromantik hat Shumsky dank seines geschmeidigen, lyrisch-singenden Tones brillieren können wie wenige andere! Man nehme etwa die großartige Aufnahme der frühen Violinsonate op. 18 in Es-dur von Richard Strauss aus dem Jahre 1962, die Shumsky mit einem ganz unaffektiert-großartigen Glenn Gould voll Raffinesse und Verve jubeln und dahinstürmen läßt:


(Teil 2 der Sonate hier — leider in schlechterer Aufnahmequalität)
Kleine Anmerkung zwischendurch: es ist überaus faszinierend, obige Interpretation von Shumsky/Gould mit der des nur zwei Jahre älteren österreichischen Violinisten Wolfgang Schneiderhan, am Klavier von Walter Klien meisterhaft mit der für diesen so charakteristischen, noblen Delikatesse begleitet, zu vergleichen, die auf diesem Blog aus Anlaß der hundertsten Wiederkehr von Schneiderhans Geburtstag gehört werden konnte. Shumsky nimmt den Part vielleicht "brillanter", leidenschaftlicher, und auch Glenn Gould (der sich ja als Strauss-Interpret kaum hervorgetan hat, es auch, ausgenommen die "Burleske", mangels hinreichender Zahl entsprechender Werke dieses Komponisten auch schwer konnte, denn als Liedbegleiter kann man sich Gould doch eher schwer vorstellen ...) "kann" ganz offensichtlich mit Strauss eine nervös vibrierende Saite seiner eigenen Seele anschlagen! Schneiderhan/Klien sind zurückhaltender, "eleganter" (sicher zum Teil auch  der besseren Aufnahmequalität geschuldet), aber keineswegs weniger beeindruckend!
Shumsky, der bis ins hohe Alter als Solist auftrat, hinterließ zahlreiche Einspielungen auf Schallplatte, von denen leider nur allzu wenige auch auf CD wiederaufgelegt wurden. Um einen Blick auf den "alten" Shumsky zu erhaschen, folgt eine Aufnahme des Brahms-Violinkonzertes des damals 70-jährigen, mit dem BBC Welsh Symphony Orchestra unter Mariss Jansons (auf Youtube leider in 5 Teile zerlegt):


Gegen Ende dieses Gedenkartikels noch eine kleine "Kuriosität", ein Video, in dem die einschmeichelnde Salonmusik der "Estrellita" von Manuel Ponce kühn mit dem langsamen Satz aus Bachs a-moll-Konzert kombiniert wird. Ein fürwahr gewöhnungsbedürftiges "Gespann" — und doch zugleich eine gutes Beispiel für die interpretatorische Vielseitigkeit dieses großen Musikers:


Oscar Shumsky war für lange Jahre, ja Jahrzehnte, faktisch vom Konzertpodium verschwunden und beim schnellebigen Konzertbusiness ist das so gut wie — vergessen! Er ging in seiner Tätigkeit als berühmter Lehrer u.a. an der Juilliard School, am Peabody-Konservatorium und an der Yale University auf, begann zu dirigieren ... Dennoch: wahre Qualität findet (fast) immer wieder den Weg zur Anerkennung, und so wollen wir diesen Artikel mit einem weiteren Zitat aus dem Nachruf im Guardian beschließen:
Fortunately, in the autumn of his career, Shumsky was rewarded by a renewed interest in his artistry. In the early 1980s, he resumed giving concerts after an absence of over 45 years. His appearances throughout Britain and continental Europe were an overwhelming success, prompting the London-based critic Dominic Gill to proclaim the most memorable musical events of 1982 as appearances by "Horowitz, Michelangeli and Shumsky". 

Although he never became a household name like Heifetz or Perlman, Oscar Shumsky was the quintessential "violinist's violinist". As Eugene Drucker remarked: "I will never forget his uncompromising personal integrity, his continual quest for musical substance rather than surface gesture, his encyclopaedic knowledge of the violin repertoire and his magnificent command of the instrument. There will never be another like him." 
Oscar Shumsky starb am 24. Juli 2000, in Rye City bei New York. Und vielleicht inspiriert dieser kleine Gedenkartikel einen musikliebenden "Wikipedianer", eine Lücke auf de.wikipedia.org zu schließen ...

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