Montag, 9. Januar 2017

Meyers Enzyklopädisches Lexikon

... konnte in seinem Band 5 (Bud – Con), Mannheim 1972, S 453, noch in präganter Kürze und ohne krampfhaft antifantisches Gefasel einen für seine Zeit überaus einflußreichen, heute aber — wie man es gerne umschreibt — „umstrittenen“ Denker und Schriftsteller wie folgt beschreiben:
* Portsmouth, 9. September 1855, † Bayreuth, 9. Januar 1927, brit. Kulturphilosoph und Schriftsteller.
Nach naturwissenschaftl. Studium in Genf, Aufenthalt in Dresden (1884-89) und Wien (1889 bis 1909), heiratete er R. Wagners Tochter Eva und übersiedelte nach Bayreuth. Als Verehrer des dt. Geisteslebens, bes. Wagners, vertrat er im 1. Weltkrieg die Ziele der Alldeutschen und nahm 1916 die dt. Staatsangehörigkeit an. In seinen kulturphilosoph. Schriften, bes. in seinem Hauptwerk „Die Grundlagen des XIX. Jh.s“ (2 Bde., 1899) verkündete er eine völk.-myst. Ideologie, die auf einer unkrit. Verschmelzung naturwissenschaftl. und philosoph. Ideen beruhte. Ch.s auf den Lehren Gobineaus fußender Rassenbegriff und die von ihm vertretene „arische“ Weltanschauung gewannen starken Einfluß auf die nationalsozialist. Rassenideologie.
Houston Stewart Chamberlain
Porträt von Franz v. Lenbach

(um 1902)
– © Wikipedia –
Nun — jetzt ist die Lüftung des Geheimnisses wohl keine große Überraschung: es geht um den britisch-deutschen Kulturphilosophen Houston Stewart Chamberlain, der heute vor neunzig Jahren entschlafen ist. Jetzt wird jenen geschätzten Lesern, die den Namen zu kennen glauben, das Kipferl (für Piefkes: „Hörnchen“) vor Schreck in die Kaffeetasse gefallen sein: ja, aber … der ist doch ... ein ... Nazi! Gemach, gemach! Als er sein „umstrittenes“ Hauptwerk schrieb, war „AH“ (neuerdings a.k.a. „18“ — welche Zahl selbstmurmelnd jetzt streng verboten ist, und über kurz oder lang zu einer Umbenennung des 18. Jahrhunderts führen wird, nein: muß!!) gerade mal Volks- bzw. Realschüler. Und selbst an seinem Todestag wäre Chamberlains Einfluß bestenfalls einer bedeutungslosen rechten Mini-Splitterpartei zugute gekommen — denn was nach dem Todestag passierte, nun, da kann der Gute (oder, wenn einem das lieber ist: „Umstrittene“) aber wirklich nichts dafür, außer man glaubt an Spiritismus.

Und nein, ich verlinke jetzt nicht (wie gewohnt) für die Daten auf Wikipedia, denn die stehen ohnehin schon im Meyer’schen Artikel, und der Rest ist bloß antifantisches Gegacker, das kaum informativer zu lesen ist als das grüne Parteiprogramm (welches? Ach, ist doch ganz egal …).

Zurück zu Chamberlain: nein, „Nazi“ ist er mit Sicherheit keiner gewesen. „Wegbereiter“ geht auch nicht recht, denn was ein totkranker, der Tagespolitik denkbar ferner, zur Geisteselite zählender (ex-) britischer Gentleman für AH’s damalige Rabaukentruppe ehemaliger Front- und Freikorps-Soldaten sowie inflationsgeschädigter Bauern und Kleinbürger hätte „wegbereiten“ sollen, erschließt sich nicht so wirklich. Bleibt nur noch der „Ahnherr“ — was auf’s Geistige abzielt, und daher herrlich wandelbar nach Bedarf gedreht und gewendet werden darf, bis man schwindelt (pun intended!) …

Ach ja, die berühmten „Ahnherrn“ des Nationalsozialismus — die stehen ja beinahe Schlange in der ganzen Menschheitsgeschichte … jedenfalls in der, die sich ein linker und/oder grüner Gutmensch so zusammenklabüsert! Also ein auf „Gobineau fußender Rassenbegriff“ soll eine Ahnherrschaft der Hitlerei begründen? Graf Gobineau, der die Deutschen als minderwertige Bastardrasse ansah und den Antisemitismus verachtete, rotiert bereits im Grab! Aber weil’s bei Gobineau so gut funktioniert hat (weil sich halt keiner die Mühe macht, im Originalwerk mal nachzulesen, was dort wirklich drinnen steht), warum sollte man nicht denselben Kniff nicht nochmals probieren? Nun, dann machen wir halt die Gegenprobe!

Gleich wenn man den ersten Band aufblättert, findet man eine Widmung: Dem Physiologen

Hofrat Professor Doktor

JULIUS WIESNER

Derzeit Rektor der Universität zu Wien
in Verehrung und Denkbarkeit
zugleich als Bekenntnis bestimmter wissenschaftlicher
und philosophischer Überzeugungen
zugeeignet

Julius Wiesner (ab 1909: Ritter von Wiesner) war ein — Botaniker, näherhin: Pflanzenphysiologe. Fehlt nur, daß man jetzt auch noch den guten alten Propst Gregor Mendel wegen seiner Mendel’schen Vererbungsgesetze zum „Ahnherrn“ der Nazis erklärt!

Es steht nun außer Frage, daß Chamberlain antisemitische Gedanken vertrat, nur ist das um das Jahr 1900 eine etwa so unterscheidungskräftige Feststellung wie, daß er zwei Ohren hatte. Antisemitismus war zu jener Zeit ein Gemeinplatz des Denkens, der von den Nationalen über die Konservativen, die konfessionellen Parteien (wie Zentrum und Christlich-Soziale) bis weit ins liberale und — man glaubt es angesichts zahlreicher Juden unter ihren Gründervätern fast nicht — sozialistische Lager reichte: in unterschiedlichsten Varianten und Graden. Und zugleich muß natürlich gesagt werden, daß dieser Antisemitismus von durchaus ganz anderer Art war, als der von den Nazis im Zweiten Weltkrieg praktizierte. Einen Denker, der viele und durchaus originelle Gedanken zu denken vermag, und diese auch auf fesselnde Weise vortragen kann, bloß deshalb unter Lese- und Denkverbot zu stellen, weil er Antisemit war, ist etwa so sinnbebefreit, wie die pauschale Ächtung griechischer Philosophie, weil ihre Großmeister Platon und Aristoteles Sklaven nicht bloß besaßen, sondern auch — mit unterschiedlichen Argumenten — in ihren Werken die Sklavenhaltung als ethisch zulässig verteidigten.

Und es ist ebenso keine Frage, daß Chamberlain ein Ideal eines „Germanen“ vertrat, von dem er schon im Vorwort der „Grundlagen des XIX. Jahrhunderts“ abschließend bemerkt:
Als Wappeninschrift hat der Verfasser den Spruch geerbt: Spes et Fides. Er deutet ihn auf das Menschengeschlecht. So lange es noch echte Germanen auf der Welt gibt, so lange können und wollen wir hoffen und glauben. (a.a.O., S. XIII)
Nur — wer sind diese „Germanen“, die dem Autor als Hoffnungsträger vorschweben? Hierüber gibt Chamberlain ganz eindeutig Aufschluß: der Begriff umfaßt für ihn eindeutig auch die „Kelten“ und die „Slaven“:
Kein Naturforscher würde zögern, diese drei Rassen nach den physischen Merkmalen als Spielarten eines gemeinsamen Stockes zu betrachten. Die Gallier, die im Jahre 389 vor Chr. Rom eroberten, entsprechen nach den Beschreibungen genau der Schilderung, die Tacitus von den Germanen gibt. (a.a.O. I, 466)
Diese Klarstellung ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert: einmal, weil sie sich diametral von Hitlers Verachtung des „slawischen Untermenschen“ unterscheidet, die ihn vermutlich den Sieg über Stalin gekostet haben dürfte, denn die sich als „Herrenmenschen“ gebärdenden Nazi-Funktionäre, die hinter der Front ein (ebenso korruptes wie hochfahrendes) Schreckensregiment über die „Untermenschen“ führten, schafften es, innerhalb weniger Monate die für die Befreiung vom Joch des Sowjet-Regimes dankbare Bevölkerung so gegen sich aufzubringen, daß bald danach das Hinterland der Front von Partisanengruppen durchsetzt war. Zum anderen, weil es natürlich für heutige Ohren verboten — ja geradezu unerträglich — ist, über Germanen, Kelten und Slawen als „Rasse“ zu sprechen. Sofort wird eingewandt, Ähnlichkeiten der Physiognomie, der Haar- und Augenfarbe, des Körperbaues seien doch „rein zufällig“, und „Rassen“ gäbe es beim Menschen nicht. Na klar! Im Sudan leben nur aus Zufall keine blondbärtigen Wikingergestalten, und daß die Mecklenburger keine Schlitzaugen haben, besagt überhaupt nichts gegen die Möglichkeit, daß sie (wenn sie’s bloß wollten) auch jederzeit Chinesen sein könnten. Mit derlei Denkverboten bewaffnet, wurde von linken PC-Fanatikern im Naturhistorischen Museum Wien der „Rassensaal“ geschlossen, freilich ohne daß man auf die naheliegende Idee gekommen wäre, gleichzeitig das Verbot einer Rassendiskriminierung aus unserer Bundesverfassung zu streichen — denn wenn’s beim Menschen keine Rassen gibt, kann danach wohl auch denkmöglich nicht diskriminiert werden …

Sieht man aber vom Antisemitismus Chamberlains mal ab (was, für anitfantische Hohlköpfe nochmals gesagt, keineswegs die Gutheißung desselben bedeutet!), sind die zwei Bände mit ihren über tausend Seiten eine spannende, nuancen- und stets aufschlußreiche Lektüre! Man nehme nur das mit feinem, aber treffsicherem Pinsel entworfene Porträt (a.a.O. I, 298-304) des antiken Schriftstellers Lukian (im Werk nach damaligem Brauch latinisiert „Lucian“ bezeichnet): wer Geschichte als Geistesgeschichte, und nicht bloß als geistlose Aneinanderreihung von Jahreszahlen ansieht, wird es „mit Genuß und Belehrung“ lesen!

Und die Finesse, mit der der Autor den Galaterbrief und den Römerbrief des Apostels Paulus einander gegenüberstellt, sei hier kurz als ein Beispiel von unzähligen Geistesblitzen, die einen durch die gesamte Lektüre hin begleiten, gebracht:
Glaubt man denn — um gleich sehr tief zu greifen — es sei Zufall, daß Paulus seine Epistel von der Erlösung durch den G l a u b e n, von dem Evangelium der F r e i h e i t (im Gegensatz zum „knechtischen Joch“ des kirchlichen Gesetzes), von der Bedeutung der Religion als nicht in Werken liegend, sondern in der W i e d e r g e b u r t „zu einer neuen Kreatur“, glaubt man, es sei Zufall, daß gerade diese Schrift an die Galater, an jene fast rein keltisch gebliebenen „gallischen Griechen“ Kleinasiens, gerichtet ist, diese Schrift, in welcher man einen Martin Luther zu leicht zu betörenden, doch für das Verständnis tiefster Mysterien unvergleichlich begabten Deutschen reden zu hören meint? Ich für meinen Teil glaube nicht, daß bei derlei Dingen für Zufall Raum sei; ich glaube es hier um so weniger, weil ich sehe, welch andere Sprache derselbe Mann führt, welch endlose Umwege er wandelt, sobald er die gleichen Wahrheiten einer Gemeinde von Juden und von Kindern des Völkerchaos nahelegen will, wie in der Epistel an die Römer. (a.a.O., I 468)
Wenn man den zweiten Band der „Grundlagen“ durchliest, so findet man darin naturgemäß viel Zeitgebundenes: die „Zukunft des Gestern“ gibt für den nachherigen Betrachter nur zu oft Grund zu herzlichem (und manchmal verzweifeltem) Gelächter — aber dieses Schicksal teilt Chamberlain mit vielen anderen, die sich in der Prognostik versuchten! Was nun enthält dieser zweite Band? Vom I. Teil den „Abschnitt III: Der Kampf“, und den „II. Teil: Die Entstehung einer neuen Welt“. Man muß diesen Band schon mit ausgesprochener Voreingenommenheit, ja geradezu mit der fixen Idee einer Ahnherrschaft des Nazitums lesen, um zum „gewünschten“ Ergebnis zu gelangen. Die unbefangene Lektüre enthüllt manch idealistische Verstiegenheit, manch realitätsfremde Schiefheit, keine Frage! Aber wer darin ein geistige Vorbild für das NS-Regimes zu erblicken vermeint, sollte nicht bloß die Brillen, sondern seinen Geisteszustand überprüfen lassen!

Es ist hier nicht möglich, auf die anderen Werke Chamberlains einzugehen, seine Bücher über Goethe, Wagner und Kant, die „Lebenswege meines Denkens“ (1919). Der Literaturhistoriker Hermann Pongs beschließt seinen Lexikonartikel über Chamberlain lapidar:
1927 gestorben, wurde er vom dritten Reich stark umgedeutet.
… und dürfte damit der Wahrheit näher kommen, als heutige Pflichtübungen in Sachen „Nie wieder!“

Wer die Liste jener Persönlichkeiten ansieht, die sich von Chamberlain, und hier insbesondere von den „Grundlagen des XIX. Jahrhunderts“ beeindruckt und beeinflußt zeigten, dem erscheint der Vorwurf, daß Chamberlain quasi der Praecursor Adolphi gewesen sei, endgültig absurd: da liest man Namen wie Albert Schweitzer und Winston Churchill, schließlich hat er auf den Philosophen und Nazi-Gegner Hermann Graf Keyserling den (wie dieser selbst erklärte) entscheidendsten Einfluß ausüben können, ebenso auf den großen österreichischen Kulturphilosophen Rudolf Kassner (der die Nazizeit nur als „U-Boot“ überlebte). Nein — „Ahnherren“ des Nationalsozialismus’ sehen doch irgendwie recht anders aus … 


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P.S.: Wikipedia vermerkt (mit erkennbarer Befriedigung), daß Houston Stewart Chamberlain 2013 die Ehrenbürgerschaft der Stadt Bayreuth posthum aberkannt wurde. Und weiß noch zu berichten:
Er hinterließ der Stadt eine große Erbschaft, und sein Wohnhaus dient heute als Jean-Paul-Museum. Eine 1937 nach ihm benannte Straße wurde 1947 umbenannt, eine 1958 an einer anderen Stelle der Stadt geschaffene im Jahr 1989 ebenfalls. Das gemeinsame Grab mit seiner Frau Eva geb. von Bülow befindet sich auf dem Stadtfriedhof in Bayreuth.
Nun immerhin! Sie haben doch generös darauf verzichtet, seine Urne auszubuddeln und die Asche irgendwo in der Nordsee zu verklappen, das ist doch schon was! Und die große Erbschaft und sein Haus — na, das haben sie natürlich behalten. Echte SAntifa-Demokratten halt ...

Sollte jemand diese Vorgangsweise als ziemlich letztklassig arschlochmäßig ansehen ... nun: man könnte ihm wohl nur schwer widersprechen.

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