Montag, 10. Juni 2013

Heute vor vierzig Jahren ...

… starb einer der nach Ansicht militärischer Experten bedeutendsten Feldherrn, die der Deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg zur Verfügung standen: Generalfeldmarschall Erich von Manstein. Als Nicht-Militär kann und will sich LePenseur zur Befähigung Mansteins als Feldherr kein Urteil erlauben, obwohl eine Reihe von Operationen, die ihm im Rußlandfeldzug erfolgreich gelangen, die Vermutung nahelegen, daß er über erhebliches strategisches und taktisches Können verfügt haben muß. Doch, wie gesagt: dies zu entscheiden bleibe Kundigen überlassen. Sein Adjudant Alexander Stahlberg, der sehr lebendig geschriebene und fesselnd zu lesende Erinnerungen unter dem Titel »Die verdammte Pflicht« verfaßte, erwähnt jedenfalls, daß gegenüber Erich von Manstein nach einer Lagebesprechung in der Wolfsschanze am 13. Juli 1943 vom — rangälteren — Feldmarschall von Kluge, und kurz darauf ebenso von Rommel die Bereitschaft ausgesprochen wurde, sich seinem (Ober-)Kommando zu unterstellen, um in der verfahrenen Situation zu retten, was zu retten sei (Stahlberg, S 339). Und noch in den letzten Tagen des Weltkriegs appellierte der nach einem Bombentreffer sterbende Feldmarschall Fedor von Bock an Manstein, der ihn im Spital besuchte: »Manstein, retten Sie Deutschland!« (a.a.O., S 436).

Doch nicht die militärische Seite soll hier Gegenstand der Erörterungen sein, sondern das ethische Problem, das durch die Verurteilung Mansteins als »Kriegsverbrecher« offenbar wurde — die in der deutschen Öffentlichkeit damals für Empörung sorgte (wie wär’s wohl heute, nach Jahrzehnten geschichtsklitternder Desinformation zu diesem Thema, damit ...). Wobei die letztendlich »übriggebliebenen« Anklagepunkte — nachdem die allermeisten von ihnen ausdrücklich oder stillschweigend fallengelassen worden waren, werden mußten, wegen eines allzu offensichtlichen tu quoque, das Mansteins Verteidigung offenlegte! — fast zufällig zur Urteilsfällung angezogen erscheinen. Dahinter steht letztlich jedoch die grundlegende Frage, ob ein Soldat einen »ungerechten Krieg« führen darf. Was freilich, vor einem Tribunal der Siegermächte behandelt, immer einen unschönen Beigeschmack von Schauprozeß hat …

Heute wird das natürlich — politisch überaus korrekt und gutmenschlich gedacht! — recht einfach abgehandelt: wer bereit war, »für die Nazis« in einen Krieg zu ziehen, ist, wenn schon nicht gerade ein Verbrecher (dies wäre bei Millionen von Wehrmachtssoldaten doch eher schwer exekutierbar), so doch ein unmoralischer Fiesling, wohingegen jeder Deserteur und jeder Spion der Alliierten ein (im Falle seiner Verurteilung durch ein Kriegsgericht) bewundernswerter Märtyrer, ansonsten wenigstens ein Vorbild ist. Und selbstmurmelnd ist der 8. Mai ausschließlich der »Tag der Befreiung« — Kollateralschäden total zerbomter Städte, hunderttausender vergewaltigter Frauen, Millionen Vertriebener fallen dem gegenüber nicht ins Gewicht (denn man könne doch nicht »aufrechnen«!) …

Ist es tatsächlich so? War Manstein im Unrecht, wenn er als Soldat bemüht war, auch »für« einen Hitler (dem er nach Stahlbergs psychologisch durchaus plausibler Darstellung recht reserviert gegenüberstand) den Krieg zu gewinnen? Erst den Krieg gegen Polen, ein Land, das nach dem Ersten Weltkrieg seine Befreiung von russischer Herrschaft und Wiederbegründung als selbständiger Staat mit dem Verrat an den Mittelmächten lohnte, sich mit Oberschlesien, Posen und Westpreußen weite Gebiete überwiegend (und teilweise fast rein) deutscher Bevölkerung unter den Nagel riß, und diese nunmehrige Minderheit nach Pläsier unterdrückte und kujonierte. Dann den Krieg gegen Frankreich, ein Land, das als Besatzungsmacht im Rheinland ein wahres Terrorregime geführt hatte, und mit aberwitzigen, nie dagewesenen Reparationsforderungen Deutschland für immer ausbluten wollte. Und schließlich einen Präventivkrieg gegen Stalins Sowjetunion — ein Regime von einer umfassenden Grausamkeit und Ruchlosigkeit, gegen das selbst Hitler und seine Schergen manchmal fast zu verblassen drohen, und das »qualitativ« höchstens durch den Wahnwitz eines Pol-Pot-Regimes, und quantitativ bislang nur durch die Herrschaft Maos »getoppt« wurde .

Und war die Kriegsführung gegen Großbritannien — das, wohlgemerkt, 1939 Deutschland den Krieg erklärt hatte und nicht umgekehrt! — wirklich als »ungerechte Aggression« verwerflich, wenn man bedenkt, daß die Regierung Großbritanniens damals bereits vom fanatischen Deutschenhasser Churchill vor sich her getrieben wurde — von jenem Churchill, der schon Mitte der 30er-Jahre erklärt hatte, es sei sein politisches Ziel, Deutschland in einen Krieg zu treiben (wer’s nicht glaubt, möge es in seinen Schriften nachlesen).

Waren das also wirklich so eindeutig »ungerechte Kriege«, daß ein Soldat sich daran nicht hätte beteiligen dürfen? Wer das bejaht, muß freilich die Beteiligung von sowjetischen und britischen Soldaten angesichts der durch ihre jeweilige Regierung angeordneten Greuel, die der Haager Landkriegsordnung Hohn sprachen, ebenso als Kriegsverbrechen verurteilen. »Müßte«, muß es natürlich heißen, denn Siegermächte und ihre Soldaten werden nicht vor Kriegsgerichte gestellt. Denen werden vielmehr — wie z.B. »Bomber Harris« — Denkmäler errichtet …

Heißt das nun, daß »Hitlers Krieg« gerecht war? Nein, natürlich nicht! Er war sicher nicht »gerechter« als das »moral bombing« der Briten und Amerikaner, oder (zumindest) die Atombombe auf Nagasaki durch die letzteren — was alles nun einmal eklatant dem Verbot gezielter Tötung und Sachbeschädigung gegen Nicht-Kombattanten zuwiderlief. Er war auch nicht »gerechter« als die Besetzung des Baltikums durch die Sowjets, oder ihr Überfall auf Finnland, und sicherlich nicht »gerechter« als die Vertreibung oder Ermordung der Millionen Deutscher aus Deutschlands Ostprovinzen, aus dem Sudetenland, der Republik der Wolgadeutschen, aus Jugoslawien, Ungarn etc. etc.

Zur Beurteilung des ethisch-moralischen Fragestandes ist neben der »theoretischen« Frage der Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit eines Krieges weiters die ihrer faktisch möglichen Erkennbarkeit zu berücksichtigen, und darüber hinaus, welche Gewißheit für den konkreten Einzelnen hierüber zu erlangen ist. Und schließlich ist ihre Einbettung in andere Normensysteme, vom spezifischen Berufsethos des Soldaten, über staatsbürgerliche und religiöse Eidespflichten bis hin zu rein rechtspositivistischen Erwägungen, zu berücksichtigen. Und hier wäre es m.E. vermessen, post festum ein-eindeutige Urteile abzugeben!

Das Urteil gegen Manstein war jedenfalls in den Augen seiner Landsleute ein so klares Fehlurteil, daß auch die Besatzungsmächte zurückrudern mußten. Aus 18 Jahren des Ersturteils wurden letztlich knapp vier, nach denen er 1953 entlassen wurde. Adenauers Regierung rehabilitierte ihn faktisch, indem sie ihn — als einzigen Feldmarschall der Wehrmacht — in den 50er-Jahren als Berater bei der Formierung der Bundeswehr heranzog.

Alexander Stahlberg hadert in seinen Erinnerungen in mancher Hinsicht spürbar mit Manstein und mit einer Reihe seiner Überzeugungen, insbesondere, was seine Haltung zum 20. Juli 1944 betraf (»Ein preußischer Feldmarschall meutert nicht!«). Sicherlich ist es moralisch legitim, darüber  unterschiedlich zu urteilen — und manches verbleibt für uns, letztlich für jeden anderen, in einem unlösbaren Rest. In dem, was man eben als »Gewissensentscheidung« bezeichnet. Und nur patentierte Gutmenschen wissen für alle Situationen und für jeden, der in diese gestellt ist, wie die »richtige« Entscheidung auszusehen hätte. Oder besser: gehabt hätte. Denn sie teilen mit den Journalisten, um ein Diktum von Karl Kraus anzuwenden, die Fähigkeit, im nachhinein alles schon vorher gewußt zu haben …

Heute vor vierzig Jahren, am 10. Juni 1973, starb Erich von Manstein im 86. Lebensjahr. Nach vierzig Jahren muß es wohl möglich sein, seiner zu gedenken, ohne gleich als »Nazi« diffamiert zu werden. Oder: sollte es wenigstens …

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Danke!
EmilS

Anonym hat gesagt…

Vielen Dank für diese Würdigung.

Vielleicht darf ergänzt werden, daß v. Manstein verteidigt wurde von Mr. R.T.Paget, seinerzeit jüngster Kings Council Englands, der ausdrücklich auf jegliches Honorar verzichtete. 1951 erschien in England sein Buch über diesen Prozeß, bald darauf die erste deutsche Ausgabe unter dem Titel "Manstein. Seine Feldzüge und sein Prozeß", Wiesbaden 1952.