Sonntag, 12. Mai 2013

Quantum refert … — Teil IV

Noch einige Zitate aus der Feder des katholischen Geistlichen, dem diese Artikelserie gewidmet ist. Ich bitte die Leser, die sich von den notwendigerweise langen Texten weniger angesprochen fühlen (lange Texte sind eher für die Buchform, als für den Bildschirm geeignet, ich weiß!) um Geduld — die Texte sind nämlich (man bedenke ihre Entstehung während des bzw. bald nach dem Zweiten Weltkrieg!) hochinteressante Zeugnisse eines selbständigen Geistes, den man bei einem »vorkonziliaren« Geistlichen eher nicht vermutet.

So denkt er über das Verhältnis von Kirche(n) und Staat (bzw. Politik) nach — und kommt zu aus damaliger Sicht durchaus »revolutionär« klingenden Thesen ... die heute freilich durch die Realität in weiten Teilen längst überholt wurden.
Der moderne Staat verlangt ein Neuorientierung mit neuen Formen für das Verhältnis Weltanschauung und Politik: Eine aufrichtige, wohlwollende Haltung gegenüber allen Religionen, ohne sich mit irgendwelcher enger zu verbinden, mit anderen Worten ihre verfassungsmäßig gesicherte Autonomie und ihre Ausschaltung aus dem politischen Raum; wobei man kirchlicherseits weitgehende Zugeständnisse machen sollte in Fragen, die letzten Endes nicht für wahre Religiosität entscheidend sein müssen […]. Eine christliche Staats- oder Soziallehre im strengen Sinn kann aus der Bibel nicht abgeleitet werden. Letztere nimmt vielmehr die Staats- und Wirtschaftsform als eine geschichtliche Gegebenheit. Sie billigt die alttestamentliche absolutistische Königsgewalt, die sich trotz religiöser Tarnung oft wenig unterschied von der Tyrannis der Nachbarvölker. Sie sagt nichts über die Rechtsgültigkeit der römischen Besatzungsmacht in Palästina und wie weit das eigene Volk in dieser politischen Form noch Rechte und Ansprüche hat. Mit anderen Worten, sie sucht unmittelbar und dieses auch erst seit Christus, durch Grundsätze von Gerechtigkeit und Brudergesinnung über Stand, Beruf und Nation hinaus die unvermeidlichen menschlichen Armseligkeiten einer jeden Staatspolitik zu verkleinern. Es ist deshalb abwegig und politische Sophistik, Christentum, Evangelium und soziale Politik in eine zu enge Bindung zu bringen. Es sollte keinen kirchlichen Integralismus im sozialen und politischen Leben von Nationen und Staaten moderner Form geben und andererseits auch keine Diktatur, welcher Farbe immer, sondern nur eine Demokratie im Sinne des Zweiparteiensystems nach englisch-nordamerikanischem Vorbild mit Links- und Rechtsrichtung, das heißt einer Opposition, die jede Majorisierung unmöglich machen kann. Diktaturen politischer und weltanschaulicher Art mit allen Mitteln zu bekämpfen, muß die nach den traurigen Erfahrungen mit dem NS besondere Sendung eines echten freien Christenmenschen sein.
Wie maßvoll mutet diese Weltbetrachtung an, wie illusionslos weiß sie die faktische Rolle von Religion zu beurteilen! Von bitteren Erfahrungen, die der Verfasser machen mußte, geprägt auch die historische Einordnung der Kriegs- und Nachkriegszeit
Ein wahrhaft christliches Zeitalter, wie es der Jesuitenredner Lombardi mit einem beglückenden Optimismus nach 1945 verkündete, wird kaum mehr kommen. So wie es vielleicht nie ein solches für längere Dauer gegeben hat, ausgenommen innerhalb der kleinen Gemeinden des Urchristentums, die aber die Welt nicht beeinflussen oder ändern konnten. Das Leben wird immer Kampf zwischen Licht und Schatten, ein Streben nach höheren und besseren Formen kultureller Entwicklung sein. »Der Untergang des Abendlandes, die Ankunft eines Antichrists, die Bekehrung Rußlands« sind nur in die Massen hineingeworfene Schlagworte. Richtig ist nur das eine, daß man von einem »Ende der Neuzeit« (Romano Guardini) sprechen kann, denn zwei Weltkriege, Faschismus, Nationalsozialismus und Bolschewismus waren gleichsam Erdstöße, die gezeigt haben, daß im Inneren alles in Bewegung geraten ist, daß Fragen gelöst werden müssen, die seit der Französischen Revolution, die nur eine kleinbürgerliche Angelegenheit gewesen war, infolge Mechanisierung von Arbeiter- und Bevölkerungsmassen eine großzügige Neuordnung verlangen, wenn nicht mit dem gegenwärtigen Zeitalter in wenigen Jahrzehnten auch Religionen und Christentum als sozialkulturformende Kräfte versinken sollten, was das größte Unglück aller bedeuten würde. Man kann die vorausgehenden Gedanken vom Ende »christlicher« Parteien, von der wohlwollend verstandenen Trennung von Kirche und Staat und von der »Militia socialis christi« als Utopien und Zukunftsträume eines weltfremden Idealisten bezeichnen. Allein sie werden eines Tages Wirklichkeit sein. […]
Fraglos ist die Sympathie unseres Geistlichen für das »Soziale« (das er gerne als »christlichen Sozialismus« bezeichnet, damit aber nichts anderes als die »christliche Soziallehre« meint, die ausgehend vom katholischen Sozialreformer des 19. Jahrhunderts, Freiherrn von Vogelsang, sich ab Leo XIII in Enzykliken und vielen Einrichtungen entfaltete) nicht ganz unproblematisch, da in ihr eine gewisse Abneigung gegen die — notwenig zu allererst profitorientierte — Wirtschaftstätigkeit spürbar bleibt. Doch welche Defizite diese christliche Soziallehre auch hat — sie sind paccata minora im Vergleich zu den verblasenen Konstrukten des Marxismus und aller darauf gründenden Sozialismen des 19. und 20. Jahrheunderts!

Und wer schließlich hätte einem Konsultor des »Heiligen Offiziums«, d.h. also: der Römischen Inquisition, die folgenden, durchaus auch selbstkritischen Sätze zugetraut?
… alle totalitären und autoritativen Systeme, welcher Farbe immer, sind in ständiger Gefahr das Opfer des Menschlichen und Allzumenschlichen zu werden, das heißt in Willkür, Unterdrückung gegenteiliger Meinungen und schließlich in der Tyrannis einer Art moderner Inquisition zu endigen, die keine Freiheit des Gewissens und persönlicher Entscheidung mehr kennt.
(Fortsetzung folgt)

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